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Berlin-Kreuzberg Kottbusser Tor |
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Ingeborg Beer Mit dem Fall der Mauer und der Vereinigung der beiden Stadthälften hat sich in Berlin ein tief greifender Wandel vollzogen. Die Gleichzeitigkeit von politischen Transformationsprozessen (neue Eigentumsordnung, Wegfall von Subventionen, Standortfreiheit u.a.) und gesellschaftlichen Strukturveränderungen (Deindustrialisierung, Internationalisierung u.a.) erschütterte das städtische Gefüge gründlich. Dies führte zu gegensätzlichen Entwicklungssträngen von Aufbruch und Niedergang, die sich in der sozialräumlichen Struktur der Stadt widerspiegeln. Neue »Wohlstands- und Konsuminseln« stehen zahlreichen »Problemquartieren« gegenüber - Berlin präsentiert sich als vereinte Stadt mit starken sozialen Brüchen. Seit Mitte der 90er-Jahre hat sich die Stadtentwicklungspolitik dieser Situation gestellt und auf unterschiedlichen Ebenen Gegenstrategien eingeleitet, um eine weitere Entmischung der Bevölkerung in den innerstädtischen Wohnquartieren und die Verstärkung von Segregationsprozessen in der Gesamtstadt einzudämmen. Neben der Aussetzung der Fehlbelegungsabgabe und der Belegungsbindung in festgelegten Gebietskulissen im Sozialen Wohnungsbau wurden bereits Anfang 1999 im Rahmen des Landesprogramms »Sozialorientierte Stadtteilentwicklung« 15 Gebiete als Pilotvorhaben ausgewählt, um dort mit dem sozialräumlichen Ansatz »Quartiersmanagement« weitere Abwärtsentwicklungen zu stoppen.
1. Gebietscharakter
Zwischen beiden Bereichen liegt die von der Skalitzer Straße flankierte Hochbahntrasse mit dem Bahnhof Kottbusser Tor. Der Platz ist ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt, Umsteigebahnhof und belebter Ort: Auf den Platz zulaufende Straßen sorgen für hohes Verkehrsaufkommen, aufgrund zwei sich kreuzender U-Bahn-Linien und mehrerer Bushaltestellen wird er Tag und Nacht von zahlreichen Menschen frequentiert. Er ist ein bedeutender Standort für Banken, Handel und Dienstleistungen (Arztpraxen, Apotheken etc.). Heute leben im Modellgebiet etwa 4 350 Menschen, der überwiegende Teil von ihnen verfügt über einen nicht deutschen Pass (55,2 Prozent). Der Anteil der Kinder und Jugendlichen liegt weit über dem von Kreuzberg und Berlin. Zwei Kindertagesstätten, eine Grundschule, ein »Behindertenzentrum« mit Werkstätten und Schwimmbad sowie ein Seniorenwohnhaus mit Freizeitstätte bilden das infrastrukturelle Grundgerüst. Im Zentrum Kreuzberg ist eine Moschee untergebracht. Die Stadtbücherei und das Museum Kreuzberg sind auch überörtlich bedeutsame Orte für Kultur und Begegnung. 2. Zentrale Problemfelder und Entwicklungspotenziale
Mit dem Fall der Mauer rückte Kreuzberg zwar mehr in die Mitte der Stadt, doch weder haben sich die Hoffnungen auf eine Stabilisierung der »Kreuzberger Mischung« noch die Befürchtungen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner durch eine Invasion von Yuppies und gehobenem Mittelstand verdrängt werden würden, erfüllt. Vor diesem Hintergrund ist das Modellgebiet heute durch folgende zentrale Problemfelder geprägt. Konzentration von Migrantinnen und Migranten und Konflikte im Zusammenleben: Aus dem Modellgebiet wanderte der deutsche und türkische »Mittelstand« ab, die Armen, Älteren und »Verwurzelten« blieben. Neue Migrantengruppen zogen zu. Während in den 60er- und 70er-Jahren vor allem türkische Arbeitsmigranten mit ihren Familien herzogen, werden heute die Bestände des Sozialen Wohnungsbaus mit Zuwanderinnen und Zuwanderern belegt, die hohe Ausgrenzungsrisiken und geringe Chancen für eine Arbeitsmarktintegration mitbringen: Neben Familienangehörigen und Ehepartnern aus der Türkei zählen dazu Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo, arabische, kurdische und libanesische Flüchtlinge und Asylbewerber sowie Spätaussiedler. Der Anteil von Bewohnerinnen und Bewohnern nicht deutscher Herkunft wird von Experten auf 80 Prozent geschätzt, die Statistik weist einen Ausländeranteil von 55,2 Prozent aus. Die hier verbliebenen deutschen Bewohnerinnen und Bewohner fühlen sich in der Minderheit und oft als Opfer der veränderten Verhältnisse. DEMOGRAPHISCHE UND SOZIALRÄUMLICHE MERKMALE
Einkommensarmut und Ausgrenzungen vom Arbeitsmarkt: Die Konzentration von Migrantinnen und Migranten geht mit Armut und sozialen Problemen einher - doch auch die Deutschen sind massiv betroffen. Viele Gebietsbewohnerinnen und -bewohner sind arbeitslos, und ein enorm hoher Anteil von ihnen - über 40 Prozent - lebt von Sozialhilfe. Niedriges Bildungs- und Ausbildungsniveau sowie Sprachprobleme erschweren die Konkurrenz selbst um unsichere und schlecht bezahlte Arbeitsplätze und verbauen den Zugang zu Ausbildungsplätzen. Die stigmatisierende »Adresse« Kottbusser Tor lässt Erfolgsaussichten bei Bewerbungen rapide schwinden. Besonders schwierig ist die Ausbildungs- und Beschäftigungssituation der ausländischen Jugendlichen. Dies bildet den Nährboden für Resignation und Überschätzung, Stilisierung und Aggression bis hin zu einer fundamentalistischen oder nationalistischen Orientierung. Überforderte Betreuungs- und Bildungseinrichtungen: Die im Gebiet befindlichen Kindertagesstätten und insbesondere die Jens-Nydahl-Grundschule können in ihrer derzeitigen Struktur kaum einen Beitrag zur Minderung von Benachteiligungen leisten und Chancengleichheit nicht fördern. Ein hohes Maß an Resignation bei vielen Lehrkräften und Erzieherinnen und Erziehern trägt zur Verfestigung bei. Die überwiegend ausländischen Schülerinnen und Schüler können in großen Klassenverbänden und angesichts mangelnder außerschulischer Integrationsunterstützung (Familie, Nachbarschaft etc.) die Sprachdefizite nicht aufholen. Da bei bildungsorientierten deutschen Eltern und aufstiegswilligen Migrantinnen und Migranten das Vertrauen in die Schule schwindet und sich ihre Wegzugsbereitschaft erhöht, verstärken sich die Probleme. Viele türkische und arabische Eltern verwehren aus materiellen und kulturellen Gründen ihren Kindern den Besuch des Kindergartens oder des schulischen Freizeitbereichs und schränken damit die Integrationschancen weiter ein.
Vernachlässigung des Wohnumfelds und des öffentlichen Raums: Benachteiligende und stigmatisierende Wirkungen gehen - trotz der Großzügigkeit der Wohnhöfe - stark vom Wohnumfeld und vom öffentlichen Raum aus. Hohe Verkehrsbelastung und fehlende Aufenthaltsqualitäten stellen nicht nur für die Kinder ein Problem dar, und der vernachlässigte Zustand der Wohnhöfe mindert deren Ausgleichsfunktion für beengte Wohnverhältnisse. Resignierte Verwaltungen fördern den »Vernachlässigungskreislauf«: Warum ein Müllkonzept entwickeln, wenn die Bewohnerinnen und Bewohner sich ohnehin nicht daran halten? Warum zerstörte Türfenster reparieren, wenn sie bald wieder eingeschlagen sind? Massive Beeinträchtigungen durch Drogenszene: Das Kottbusser Tor zählt seit über zehn Jahren zu den etablierten Treffpunkten der Drogenszene. Daraus ergibt sich eines der größten Problem- und Konfliktfelder. Bewohnerinnen und Bewohner sowie Gewerbetreibende am »Zentrum Kreuzberg« sehen sich weitgehend überfordert, die damit einhergehenden Belastungen hinzunehmen und damit umzugehen (Spritzenbestecke, Verunreinigungen, Belästigungen, Aggressionen etc.). Zahlreiche Akteure am Platz haben die Hoffnung weitgehend aufgegeben, dass hier gebietsbezogene Lösungen greifen könnten. Initiativen des Mieterbeirats, der Ärztinnen und Ärzte sowie der Apotheken (»Druckräume jetzt!«) an die Adresse der Politik und Verwaltung erbrachten bisher nicht die gewünschte Unterstützung. Zwar gibt es eine Reihe von kooperativen Strukturen der Betreuung und Beratung vor Ort, doch fehlt eine langfristig tragfähige Gesamtstrategie, die jenseits der Alternativen von »law and order« und/oder »Duldung des Status quo« grundsätzliche Veränderungen einleiten könnte. Das Modellgebiet Kottbusser Tor verfügt gleichzeitig über räumlich-funktionale Entwicklungspotenziale, welche die bestehenden Probleme mindern oder kompensieren, möglicherweise sogar neue Qualitäten fördern können. Es ist innerstädtisch und verkehrsgünstig gelegen und bietet beste Voraussetzungen für Handel, Gewerbe und Dienstleistungen. Allein im Gebiet befinden sich etwa 1 000 Arbeitsplätze. Die künftige Vermietung von leer stehenden Gewerbeeinheiten im »Zentrum Kreuzberg« und in anderen Gebäuden am Platz kann zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts und der Herausbildung einer differenzierteren Angebotsstruktur - wie von den Eigentümerinnen und Eigentümern beabsichtigt - beitragen. Die Haltung der Bewohnerinnen und Bewohner zum Gebiet reicht von Identifikation und Engagement über Resignation bis hin zur Abstimmung mit Möbelwagen und Geldbeutel und hängt nicht zuletzt davon ab, ob sie gezwungenermaßen oder freiwillig ihren Wohn- und Lebensort wählen können. Zahlreiche Akteure und Bewohnerinnen und Bewohner lassen sich - trotz großer Armut, sozialer Probleme und langwieriger Veränderungsperspektiven - dennoch nicht unterkriegen, bringen Ideen ein, sind kreativ, wollen allein ihren Weg machen oder unterstützen sich gegenseitig. Im Unterschied zu monostrukturellen Großsiedlungen am Stadtrand bietet auch der Verflechtungsbereich zwischen Landwehrkanal und Oranienstraße günstige Bedingungen für Integrationsstrategien. Leben, Arbeiten und Kultur sind hier vielfältig miteinander verknüpft. Einige Schritte vom »Zentrum Kreuzberg« entfernt befinden sich in den Straßen zahlreiche Gewerbebetriebe, Restaurants, türkische Läden, Szene-Treffs, Bäckereien, Buchläden und Künstlerateliers. Die Oranienstraße gilt nach wie vor als eine der interessantesten Straßen Kreuzbergs und Berlins und lockt zahlreiche Touristinnen und Touristen an. An den südlichen Rändern am Ufer des Landwehrkanals sind in den 80er-Jahren am Fraenkelufer attraktive Wohnungen für Einkommensstärkere und alternative Lebensformen sowie eine attraktive Kneipenszene entstanden. Auch sie können zur Stärkung der Integrationsbemühungen - insbesondere im Hinblick auf kulturelle und bildungsorientierte Strategien - beitragen. 3. Entwicklungsziele und Handlungsschwerpunkte
All diese auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelten Probleme und Potenziale verweisen auf das Spannungsfeld von gesellschaftlicher Verursachung und notwendigen Eingriffen auf lokaler Ebene, von gesamtstädtischem Handeln und Gebietsbezug - eine Ambivalenz, die auch den Entwicklungsprozess hinsichtlich der Ziele und des Erfolgs von Maßnahmen und Projekten bestimmt.
1. Koordination und Vernetzung Seither sind drei Jahre vergangen. Kontrovers geführte grundsätzliche Diskussionen zum Instrument Quartiersmanagement sind in Berlin den Fragen nach dessen praktischem Erfolg vor Ort gewichen. Für das Modellgebiet lassen sich im Hinblick auf die bisher verfolgten Handlungsschwerpunkte unter anderem folgende Ergebnisse festhalten. Lokale Ökonomie: Hier steht die selbstständige Erwerbstätigkeit im Mittelpunkt. Sie wird von vielen Migrantinnen und Migranten als Alternative zur Arbeitslosigkeit in Angriff genommen, jedoch aufgrund mangelnder Kenntnisse und Erfahrungen nicht immer erfolgreich. Zur Aktivierung und Unterstützung wurde eine Interessensgemeinschaft der Gewerbetreibenden (IG Kottbusser Tor) gegründet, finden Existenzgründerberatungen und Beratungen von Gewerbetreibenden sowie kontinuierlich Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern von Banken und Finanzdienstleistern statt. Ausbildung, Beschäftigung und Qualifizierung: Auch in diesem Bereich wurden konkrete Fortschritte erzielt:
Wohnen und Wohnumfeld, öffentlicher Raum: Der erste »Paukenschlag« in diesem Handlungsschwerpunkt wurde mit dem Umbau einer Treppe am »Zentrum Kreuzberg« getan. Was für Außenstehende unspektakulär erschien, war für das nähere Umfeld ein wichtiger Schritt, zumal die »Übergabe« durch den Senator für Stadtentwicklung und den Bezirksbürgermeister von Kreuzberg die politische Ernsthaftigkeit des neuen Kurses unterstrich. Ähnliche Impulse gingen auch von dem neu angelegten Spielplatz am »Zentrum Kreuzberg« aus, der seit Entstehung des Gebäudes immer wieder gefordert, aber erst im Jahr 2000 realisiert wurde: »Ein langer Traum ist Wirklichkeit geworden«, so ein Mietervertreter am Tag der Eröffnung. Mit den baulichen Verbesserungen der Hauseingänge und -aufgänge sowie der Umgestaltung eines Wohnhofs werden mehrere Ziele gleichzeitig erreicht: Die Einbeziehung von arbeitslosen oder transferabhängigen Bewohnerinnen und Bewohnern mindert Arbeitslosigkeit und Einkommensarmut, mit der Beseitigung der Defizite erhöhen sich Nutzungs- und Aufenthaltsqualität, durch Bewohnerbeteiligung wachsen Akzeptanz und Rücksichtnahme gegenüber den Maßnahmen, schließlich lassen sich kostspielige Instandhaltungen für die Wohnungsunternehmen in Teilbereichen minimieren, eine öffentlichkeitswirksame Darstellung wirkt dem negativen Image entgegen.
4. Schlüsselprojekte
Nicht alle Projekte haben den gleichen Stellenwert. Das Quartiersmanagement definiert folgende Maßnahmen als »Schlüsselprojekte«, da sie an zentralen Problemfeldern ansetzen und einen hohen Vernetzungs- und Wirkungsgrad erzielen sollen. In diesem Jahr wird mit der Umgestaltung des Platzes Kottbusser Tor begonnen. Bei diesem Projekt, das über die Anforderungen der unmittelbaren Wohnbevölkerung weit hinausreicht, heißt integriertes Handeln auch Einbeziehung von gesamtstädtischer und politischer Verantwortung: Mit Vergabe-ABM durchgeführt, vonseiten der Verwaltung konzipiert, vor Ort abgestimmt und öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt, wird es im Weiteren darauf ankommen, potente Partnerinnen und Partner wie die Berliner Verkehrsbetriebe und für die Drogenpolitik Verantwortliche zu gewinnen und in den Prozess einzubinden.
Die Räume werden vonseiten des Eigentümers im »Zentrum Kreuzberg« zu günstigen Konditionen zur Verfügung gestellt. Renovierung sowie Sachmittel und Honorare werden über Programmmittel der »Sozialen Stadt« und aus dem Quartiersfonds finanziert. Mit diesem Projekt wurden auch Impulse für andere Träger ausgelöst und weitere Hausaufgabenangebote für Kinder im Modellgebiet angeregt. Das Projekt »Berlin am Kottbusser Tor: Bürger/innen richten ihr Stadtteilmuseum ein« wurde vom »Verein zur Erforschung und Darstellung der Geschichte Kreuzbergs e.V.« initiiert. Es wird über den Quartiersfonds finanziert und zielt vor allem auf aktive und bildungsorientierte Bewohnerinnen und Bewohner. Auf einer Etage des Kreuzberg Museums wird eine Ausstellung (Bilder, Filme, Modelle, Erinnerungen und biografische Porträts) zu sehen sein, in der Bewohnerinnen und Bewohner die Geschichte des Quartiers präsentieren und zu Diskussionen einladen. Auch dieses Projekt ist beschäftigungswirksam angelegt. Im Zuge der baulichen Umgestaltung des Eingangsbereichs eines Wohngebäudes wurde mit ABM-Kräften eine Conciergeloge, im »Zentrum Kreuzberg« ein Sicherheitsdienst eingerichtet. An beiden Standorten war das Bedürfnis der Bewohnerinnen und Bewohner nach mehr Sicherheit im unmittelbaren Wohnbereich groß. Die Conciergeloge hat darüber hinaus auch die Funktion, dass Bewohnerinnen und Bewohner sich informieren, Nachrichten hinterlassen, Austausch mit anderen organisieren können. Inzwischen wurde dieses Projekt um die »Kulturloge« erweitert: monatlich stattfindende kleine Veranstaltungen im Foyer des Hauses - finanziert über den Aktionsfonds und organisiert von KOM (Kommunikation im Kiez), einem Kooperationsprojekt zwischen der Wohnungsgesellschaft GSW und dem Träger Lowtec.
Der QuartiersRap Kotti ist eine von Quartiersmanagement und Jugendlichen gemeinsam organisierte Veranstaltung, die 1999 zum ersten Mal stattfand. Einmal jährlich treffen sich etwa 20 Rap-Gruppen der Hip-Hop-Szene aus Deutschland und wetteifern auf einer Bühne um die besten Texte und gelungenste Präsentation. Eine Jury - bestehend aus »Szene« und Quartiersbewohnerinnen und -bewohnern - wählt drei Gewinnerinnen und Gewinner aus. Die Preise werden von den Wohnungsunternehmen und Hauseigentümergruppen gestellt, die Veranstaltung deutschlandweit von einem Sponsor beworben. Viele Akteure aus dem Gebiet (Vereine, Bewohner, Unternehmen) beteiligen sich an der Durchführung dieses Events, Jugendliche übernehmen selbstständig Aufgaben und Verantwortung bis hin zur Mittelverwendung. Sie erhalten Beschäftigungsmöglichkeiten, einige von ihnen konnten in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden (Sicherheitsdienst). Bei der letzten Veranstaltung im September 2001 wurden etwa 600 Gäste gezählt. Besondere Wirkung: erhöhte Akzeptanz und quartiersübergreifender Imagegewinn. 5. Management und Organisation
Von besonderer Bedeutung für Berlin und das Modellgebiet ist die Unterstützung der Programmphilosophie »Soziale Stadt« auf höchster politischer Ebene durch den Regierenden Bürgermeister und den Senator für Stadtentwicklung. Strategische Steuerung und politisches Controlling der sozialorientierten Stadtentwicklung liegen bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Es wurde ein Referat »Soziale Stadt« eingerichtet. In den Aufgabenbereich der Senatsverwaltung fallen: Koordinierung der Fachressorts auf Senatsebene, Controlling (Evaluierung), Vernetzung und Erfahrungsaustausch aller Quartiersmanagement-Gebiete, Weiterbildung und Bereitstellung von Informationsmaterialien, die Durchführung von Fachkonferenzen und Öffentlichkeitsarbeit etc.
Auf Ebene der Senatsverwaltung und der Bezirksverwaltung ist jeweils eine Lenkungsrunde eingesetzt, um die Verknüpfung der vorhandenen Instrumente wie der finanziellen Ressourcen herzustellen. In der Lenkungsrunde des Bezirks sind alle Fachressorts der Bezirksverwaltung, die Vertreterin der Senatsverwaltung sowie das Quartiersmanagement und nach Bedarf weitere Institutionen und Gruppen vertreten. Steuerung und Zusammenarbeit sind durch Bezirksreform (Zusammenlegung der Bezirke Kreuzberg und Friedrichshain) und damit einhergehende wechselnde Zuständigkeiten und politischen Verantwortlichkeit in ihrer praktischen Arbeit seit geraumer Zeit jedoch stark blockiert. Zudem fehlen dem Bezirk finanzielle Mittel, und manch ein Mitarbeiter sieht in der Rückführung der Aufgaben in das Gebiet die Gefahr schwindender Einflussmöglichkeiten und Zuständigkeiten und verknüpft den Abbau von Arbeitsplätzen in der Verwaltung mit dem Aufbau des Quartiersmanagements. Im Februar 1999 hat das Quartiersmanagement-Team im Modellgebiet seine Arbeit aufgenommen. Die Stiftung SPI - Geschäftsbereich Stadtentwicklung - wurde durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Abstimmung mit dem Bezirk Kreuzberg als Träger des Quartiersmanagements beauftragt. Das Stadtteilbüro KonTor befindet sich im »Zentrum Kreuzberg«. Kooperation und Vernetzung der Akteure, Interessen und Handlungsbezüge auf lokaler Ebene sowie Bewohneraktivierung und Projektinitiierung sind zentrale Aufgaben des Quartiersmanagements. Darüber hinaus findet eine intensive Zusammenarbeit mit den Verwaltungen auf Bezirks- und Senatsebene statt. Die Koordinatoren der Senats- und Bezirksverwaltung nehmen an den Teamsitzungen des Quartiersmanagements teil. Das Team wird aus fünf Personen mit jeweils einer halben Stelle gebildet, ihnen sind klare »Ressorts« bzw. Handlungsfelder zugeordnet (Beschäftigung und Qualifizierung, Ausbildungsplätze und Öffentlichkeitsarbeit, Lokales Gewerbe, Gebietskoordination, Aktions- und Quartiersfonds), sodass arbeitsteiliges Zusammenwirken notwendig ist. Der Erfolgs- und Effizienzdruck ist hoch.
Eine Schlüsselfunktion nimmt die so genannte »Gestaltrunde« für die Koordination und Vernetzung der unterschiedlichen Akteure (Stadtteilbüro, Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer, Parteien, Polizei, Planerinnen und Planer, Verwaltungen, Schulen, Gewerbetreibende, Beschäftigungsträger, Initiativen, Vereine, Bewohnerinnen und Bewohner) bei der Umsetzung des Integrierten Handlungskonzepts ein. Hier werden umsetzungsorientiert Maßnahmen vorgestellt, diskutiert und Schritte des Vorgehens aufeinander abgestimmt. Mit diesem »Gremium« wird zum einen an traditionelle Kreuzberger Beteiligungs- und Abstimmungsstrukturen angeknüpft, zum andern werden neue Wege eingeschlagen.
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Einladung zur Kinderkonferenz an der Jens-Nydahl-Schule am 17.10.2001 (Bildquelle: Ingeborg Beer, Berlin) |
Aktionsfonds - große Wirkung mit geringen Mitteln: Seit Oktober 2000 ist der Aktionsfonds mit einem jährlichen Budget von 30 000 DM eingerichtet. Zehn gewählte Vertreterinnen und Vertreter aus dem Gebiet - Bewohnerinnen und Bewohner, Hausmeister, Gewerbetreibende, Initiativen u.a. - entscheiden im so genannten »Vergabebeirat« über die Verwendung dieser Mittel. Projektanträge können von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Vereinen und Initiativen eingereicht werden. Während in der ersten Phase vor allem vonseiten der freien Träger Projekte angemeldet wurden, nehmen inzwischen die Ideen und Projektvorschläge von Bewohnerinnen und Bewohnern einen größeren Raum ein. Das Quartiersmanagement zieht sich mehr und mehr aus dem Prozess zurück, da sich bereits Ansätze einer »selbst tragenden Struktur« herausbilden. Mit Hilfe des Aktionsfonds wurden inzwischen 24 Projekte realisiert. Dabei geht es nicht immer um die Beseitigung von materiellen Defiziten oder um bauliche Maßnahmen, sondern mehr und mehr um Projekte, die das Zusammenleben der Bewohnerinnen und Bewohner fördern sollen (Ausstellungen, Feste, Sicherheitsmaßnahmen, Pflanzaktion u.a.). |
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Quartiersfonds - das Modellgebiet wird Millionär: Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung stellte zusätzlich zu den Projekten, die das Quartiersmanagement Kottbusser Tor über Förderprogramme moderiert, den Bewohnerinnen und Bewohnern des Modellgebiets - wie auch anderen Quartiersmanagement-Gebieten - einen »Quartiersfonds« mit etwa einer Million DM zur Verfügung. Eine 30-köpfige Jury, die sich mehrheitlich aus zufällig über das Einwohnermeldeamt ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern zusammensetzt, entscheidet über die Verwendung. Neben Bewohnerinnen und Bewohnern gehören ihr Vertreterinnen und Vertreter von Initiativen, Institutionen, Vereine sowie aktive Einzelpersonen an: 15 stimmberechtigte Personen und 15 Vertreterinnen und Vertreter mit Rederecht. |
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Quartiersfonds: Zusammensetzung des Vergabeausschusses (Grafik: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung des Landes Berlin) |
Am 14.5.2001 trat die Jury zum ersten Mal zusammen. Das Stadtteilbüro KonTor arbeitet als Geschäftsstelle, hier gehen die Projektanträge ein und Bewohnerinnen und Bewohner werden zur Antragstellung beraten. Die Sitzungen sind nicht öffentlich. 21 Projekte wurden seither bearbeitet, 15 werden realisiert. Dazu zählen: Schulaufgabenzirkel, Sicherheitsdienst im »Zentrum Kreuzberg«, Kinderkultursommer, Vorlesenachmittage in der Bibliothek, umweltverbessernde Dachbegrünung, Unterstützung des Kinderbauernhofs etc.
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Der »Quartierkurier« - Zeitung des Quartiersmanagements Kottbusser Tor (Bildquelle: Reinfried Musch, Berlin) |
Für alle Handlungsfelder und als Querschnittsaufgabe stellen Öffentlichkeitsarbeit und Imageaufwertung eine wichtige Aufgabe dar. Die mehrsprachige Quartierszeitung »Quartierkurier« informiert seit Januar 2001 die Bewohnerinnen und Bewohner über Fortschritte und Termine. Feste, Ausstellungen, Lesungen und Graffiti-Aktionen sollen das Stadtteilleben fördern. Zwei Filme über das »Zentrum Kreuzberg« und Jugendliche aus dem Gebiet - beide wurden von einer Kreuzberger Filmproduktion gemeinsam mit verschiedenen Bewohnergruppen über das Quartier gedreht - transportierten sowohl nach »innen« wie nach »außen«, dass die Menschen hier (noch) jede Menge Identifikation und Ideen mitbringen.
Das vom Quartiersmanagement für die erste Etappe gesteckte Ziel der Gebietsstabilisierung scheint in Grundzügen erreicht und die Abwärtsspirale gestoppt. Es wurden investive Maßnahmen für mehr Sicherheit und Sauberkeit mit neuen Beschäftigungsmöglichkeiten, neue Spielangebote für Kinder und Jugendliche mit Treffpunkten für Mütter, der Einsatz öffentlicher Mittel mit dem Aufbau selbst tragender Beteiligungsstrukturen verknüpft. Vor allem für ausländische Jugendliche ist es gelungen, Qualifizierungs-, Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten zu schaffen und mehrere von ihnen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. In Teilbereichen wurde der Wohn- und Gewerbestandort aufgewertet, der Leerstand geht zurück, und benachteiligende Wirkungen des Gebiets ließen sich in Ansätzen mindern. Mit Quartiersfonds, Vergabefonds, Beschäftigungs- und Beteiligungsprojekten sind viele Menschen (wieder) aktiv geworden und übernehmen Verantwortung. Auch die Außenwahrnehmung des Gebiets hat sich positiv verändert. Am Prozess beteiligte Akteure sind sogar davon überzeugt: »Der Standort hat wieder Zukunft«.
Dennoch wäre es verfrüht, diese Prozesse und Veränderungen als Anzeichen einer spürbaren »Aufwärtsspirale« zu werten. Niemand erwartet die Behebung von Armut und Ausgrenzung auf lokaler Ebene, und alle am Prozess Beteiligten wissen: Es wird Jahre dauern, um die verfestigte »Kultur der Abhängigkeit« zu durchbrechen und die Bedingungen für eine wirtschaftliche und soziale Integration nachhaltig zu verbessern. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner sind nach wie vor transferabhängig und arbeitslos. Viele von ihnen wurden mit den bisherigen Aktivierungs- und Beteiligungsmodellen noch nicht erreicht. Die Drogenprobleme im öffentlichen Raum werden eine zentrale Herausforderung bleiben und - ebenso wie die Themen Bildung, Arbeit und Verkehr - noch stärker in eine gesamtstädtische Strategie eingebunden werden müssen.
»Wir steigen um«, so heißt das aktuelle interne Motto des Quartiersmanagements im Modellgebiet: hin zu mehr Bildung und Qualifizierung, zu umfassenderen und offeneren Beteiligungsstrukturen, der Einbeziehung von potenten Partnern der Wirtschaft in den Entwicklungsprozess, von der projekte- zur milieuorientierten Arbeitsweise. Beharrlichkeit und langer Atem werden weiterhin benötigt. Dennoch: Die »soziale Stadt« hat gegenüber der »sozialen Segregation« in Berlin ein Stück weit Boden gut gemacht.
Anmerkungen
(1) Dieter Hoffmann-Axthelm, Straßenschachtlung, Berlin 1984, S. 24.
(2) Heinrich Kaak, Kreuzberg, Berlin 1988, S. 26.